Was der Oberrichter über Scheidungen sagt
Schweiz: Fälle, in welchen der Mann bis zum Rentenalter bezahlen muss, sind eher selten geworden», weiss Oberrichter Daniel Bähler und erklärt, wie Unterhaltsbeiträge berechnet werden. Hier ein Interview:
Welchen Scheidungsfall werden Sie nie mehr vergessen?
Daniel Bähler: Es ging um ein älteres Ehepaar. Der Vater, Inhaber einer Kaderstelle, verlor seinen Job. Dies veränderte sein Leben schlagartig. Er wurde frustriert, verbittert und die Ehe ging in die Brüche. Dann verprasste der Mann das gesamte Vermögen. Die Frau ging wegen der Verschwendung ihres Mannes finanziell unten durch, musste sich an ganz neue Verhältnisse gewöhnen. Sie nahm einen Job in einem Laden an und fing neu an. In Erinnerung blieben mir aber auch Fälle, wo um Kinder gestritten wurde. —
Kommt denn das oft vor?
Ja. Gestritten wird um Geld und Kinder. Meistens ist das Geld das Druckmittel der Männer, die Kinder sind jenes der Frauen.
Was ist spannend bei Scheidungen?
Eine konstruktive Lösung für Beide zu erarbeiten. Die Regelungen müssen oft für die nächsten 20 bis 30 Jahre halten. Man muss für Beide weiter denken, planen, koordinieren. Dabei muss man neben den rechtlichen auch die psychologischen Faktoren beachten.
Wie meinen Sie das?
Man lernt mit der Zeit Menschen sofort einzuschätzen. Trotz allem, die Arbeit muss professionell ablaufen. Man muss lernen, sich abzugrenzen von den persönlichen Schicksalen dieser Menschen. Man darf sich persönlich nicht zu sehr engagieren.
Und wie lernt man das?
Das ist eine Routinesache. Es hängt auch damit zusammen, dass man als Richter nicht parteiisch werden darf.
Früher wurde vor Gericht der Verantwortliche für den Ehebruch gesucht. Man wusch schmutzige Wäsche. Mit der Änderung des Scheidungsrechts fiel dies weg. Was ist der Vorteil?
Die Schuldfrage stellt sich nicht mehr und das ist gut so. Die Scheidungsverfahren verlaufen heute sachlicher ab. Gerechter geworden ist der Ausgleich der Beiden bei den Guthaben der beruflichen Vorsorge. Sie werden seit dem Jahr 2000 gesplittet.
Hatten Sie Fälle, in welchen die Frau dem Mann nacheheliche Unterhaltsbeiträge leisten musste?
Ich kann mich nicht an solche erinnern. Aber ich kenne Fälle, bei welchen der Vater das Sorgerecht übernommen hat. Meist war das in Konstellationen, wo die Frau psychische Probleme hatte. Aus diesem Grund konnte sie auch keine Unterhaltsbeiträge bezahlen. Es ist in der Realität immer noch oft so, dass die Mutter das Sorgerecht hat, der Vater die Unterhaltspflicht.
In welchen Fällen muss der Mann der Frau nacheheliche Unterhaltsbeiträge leisten?
Mit dem Unterhaltsrecht sollen wirtschaftliche Folgen der Scheidung möglichst gerecht auf Frau und Mann verteilt werden. Ein nachehelicher Unterhalt ist geschuldet, wenn es einem Ehegatten nicht zuzumuten ist, für seinen Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufzukommen. Dann hat der andere ihm einen angemessenen Beitrag zu leisten.
Wie wird denn geteilt?
Nach einem Scheitern der Ehe sollen nicht nur die gemeinsam erwirtschafteten Vorteile wie Ersparnisse, sondern auch die daraus entstandenen Nachteile und Lasten auf Beide verteilt werden. Ehebedingte Nachteile sind, wenn aufgrund der in der Ehe gelebten Aufgabenteilung die wirtschaftliche Selbständigkeit der einen Partei stärker eingeschränkt worden ist als diejenige der andern. Wenn also einer die Erwerbsarbeit zu Gunsten von Betreuungsarbeit aufgegeben oder mehr als der andere eingeschränkt hat.
Wie berechnet man Unterhaltsansprüche?
Ziel ist, dass beide Ehegatten nach der Scheidung so weiter leben können, wie vorher. Das ist jedoch selten realistisch. Die Finanzierung zweier Haushalte ist sehr teuer. Bei der Bemessung des nachehelichen Unterhalts werden der Bedarf und die Leistungsfähigkeit Beider unter Berücksichtigung der Kinder abgewogen und soweit möglich ausgeglichen. Häufig kann aber der geschuldete Unterhalt wegen mangelnder Leistungsfähigkeit des Pflichtigen den Bedarf, für den die Ehegattin nicht selbst aufkommen kann, nicht decken. Es besteht ein Manko.
Was passiert dann?
Der Mann wird auf das Existenzminimum gesetzt und die Frau und die Kinder erhalten Sozialhilfe. Dies kann zu Ungerechtigkeiten führen. Denn die Frau muss die erhaltene Sozialhilfe dem Staat zurück bezahlen, wenn sie wieder zu Geld kommt.
Wie wichtig ist für die Berechnung des nachehelichen Unterhalts die Ehedauer?
Sehr wichtig. Je länger die Ehe gedauert hat, desto mehr prägte sie das Leben und desto länger dauert die Unterhaltspflicht in den meisten Fällen.
Warum gibt es keine klare Rechtsprechung bei Unterhaltsansprüchen?
Die Fälle sind zu vielschichtig und unterschiedlich. Auch das Alter der Kinder im Zeitpunkt der Scheidung ist wichtig. Je jünger das jüngste Kind, desto länger die Unterhaltspflicht. Fälle, in welchen der Mann bis zum AHV-Alter bezahlen muss, sind jedoch bei Ehen, die in mittlerem Lebensalter geschieden werden, eher selten geworden.
Sind die Kinder aus der Schule, muss der Mann nur noch für das Kind, nicht mehr für die Frau zahlen. Richtig?
Auch das lässt sich nicht so allgemein sagen. Es hängt wesentlich davon ab, wie lange die Ehe dauerte und wie die Kinderbetreuung die Erwerbschancen der Frau beeinträchtigte.
Wie werden Unterhaltsbeiträge für die Kinder berechnet?
Es wird auf Grund des Vergleichs zwischen Bedarf und Leistungsfähigkeit zuerst ein Gesamtunterhaltsbeitrag für Frau und Kinder berechnet. Danach werden die Unterhaltsbeiträge für die Kinder ausgeschieden. Als Faustregel gibt es dazu Prozentzahlen vom Nettoeinkommen des Mannes: Für ein Kind 17 Prozent, für zwei Kinder 27 Prozent, für drei Kinder 35 Prozent. Wenn der Vater die Kinder öfter als üblich betreut, können tiefere Ansätze gewählt werden, da er ja dann Kosten direkt bezahlt.
Bei der Scheidung werden nicht alle Nachteile ersetzt. Wie wird ein Karriereverlust der Frau berücksichtigt?
Gar nicht. Es wird nicht berücksichtigt, in welcher beruflichen Position die Frau sein könnte, wenn sie die Ehe nicht geschlossen hätte.
Stimmt der Eindruck, dass scheidungswillige Paare heute vermehrt ein gemeinsames Begehren einreichen und auf eine Kampfscheidung verzichten?
Ja. Der Kampf hat sich mehr auf das Finanzielle verlagert. Meist kommt es aber auch in diesen Fällen früher oder später zu einer einvernehmlichen Lösung.
Was halten Sie davon, dass die zweimonatige Bedenkzeit abgeschafft wurde?
Wenn alles klar ist, braucht es keine Bedenkzeit mehr. Bei Vereinbarungen, die von der Gerichtspraxis abweichen oder die in Eile abgeschlossen wurden, sollten die Gerichte den Parteien aber weiterhin Gelegenheit geben, das Ganze nochmals zu überdenken, da damit auf Jahre hinaus Weichen gestellt werden.
Wie viel kostet eine Scheidung mindestens?
Die Gerichtskosten hängen vom Einkommen ab und betragen bei mittleren Einkommen zwischen 1000 und 2000 Franken, wenn sich die Parteien aussergerichtlich vollständig geeinigt haben. Dazu kommen die Kosten einer allfälligen Beratung durch eine Fachperson. Eine solche empfehle ich, wenn die Verhältnisse nicht gerade ganz einfach sind, da bei einer Scheidung finanziell und emotionell immer viel auf dem Spiel steht.
Quelle: Berner-Zeitung