Klingendes Museum: Anfassen, reinblasen, draufhauen

Beim “Open House” im Klingenden Museum machen Kinder erste musikalische Erfahrungen.

Seit seiner Kindheit träumte der international bekannte Dirigent Gerd Albrecht von einem Ort mit Instrumenten zum Ausprobieren. So entstand das Konzept des Klingenden Museums, das Albrecht vor rund 20 Jahren erstmals in Hamburg realisierte. 2002 startete das Klingende Museum in Berlin – zunächst in einem umgebauten Bus. Noch heute stellen die Besuche der Musikpädagogen mit dem “Klingenden Mobil” in Kitas und Schulen die wichtigste Aufgabe des Museums dar.

Luise schnappt sich die Klarinette und bläst hinein. Sofort ist ein quietschender, quakender Ton zu hören. Das mag einfach aussehen, aber auf diesem Instrument ist das eine beachtliche Leistung. Zumal Luise heute zum ersten Mal eine Klarinette in der Hand hält. Die Fünfjährige ist mit ihrer Familie zu Besuch im Klingenden Museum. An jedem ersten Samstag im Monat können die Gäste hier beim “Open House” ganz unterschiedliche Instrumente ausprobieren. Anfassen, reinblasen und draufhauen – so lautet das Motto des Museums im Bezirk Wedding. Luises dreijährige Schwester Marlene hat sich gerade für die winzige Taschentrompete entschieden. Trotz aller Versuche kommt kein Laut aus dem Instrument. Kerstin Dräger zeigt Marlene an einem Schlauch mit Trichter und Mundstück, wie sie in die Trompete blasen muss, damit ein Ton zu hören ist. Die 32-Jährige ist eine von fünf Musikpädagogen, die den Kindern und Erwachsenen während der Veranstaltung die einzelnen Instrumente erklären. Für sie ist der Ton aber nicht das wichtigste Ziel. “Wir wollen den Kindern den ersten Kontakt mit verschiedenen Instrumenten ermöglichen und wünschen uns, dass sie dabei auch eine musikalische Erfahrung machen.”

“Alle Kinder sind musikalisch”

Genau hinzuhören, laute und leise Klänge zu unterscheiden oder auch verschiedene Töne aus einem Instrument herauszulocken probiert sie spielerisch mit den Kindern aus. Ältere Kinder können das Angebot nutzen, um einzelne Instrumente intensiver kennenzulernen. Das hilft bei der Entscheidung, welches sie erlernen möchten. Die Musikpädagogin ist überzeugt, dass Musik für jeden Menschen eine Möglichkeit ist, sich auszudrücken. “Ich glaube, dass alle Kinder von Grund auf musikalisch sind”, sagt Kerstin Dräger. Entscheidend sei, diese Fähigkeit zu unterstützen und auszubauen.

Luises Mutter Claudia Schneider wünscht sich sehr, dass ihre Töchter später ein Instrument spielen. “Musik ist für mich ein sehr sinnliches Thema und eine wichtige Ausdrucksform im Leben”, sagt sie. Deshalb besucht sie mit ihren Kindern auch regelmäßig die Familienkonzerte des Klingenden Museums in der Philharmonie. “Die Mädchen werden dann immer ganz ruhig und hören zu”, erzählt sie. Vor allem Luise möge klassische Musik. Für welches Instrument sie sich entscheiden wird, ist aber noch unsicher. Ihre Mutter würde sich freuen, wenn ihre Wahl auf das Klavier fiele. “Einfach weil ich es selbst so gern höre”, sagt sie.

Nach Ansicht von Jule Greiner, Professorin im Fachbereich Elementare Musikpädagogik an der Universität der Künste, ist es unbedingt notwendig, dass Eltern ihr Kind in die Entscheidung einbeziehen, welches Instrument es lernen wird. “Grundsätzlich ist natürlich jedes Instrument möglich, aber man sollte die körperlichen Möglichkeiten des Kindes beachten”, sagt sie. Für Kinder mit Zahnfehlstellungen eigneten sich Blasinstrumente häufig nicht. Jüngere Kinder wiederum könnten sich von Geige oder Gitarre überfordert fühlen, weil ihre Feinmotorik für diese Instrumente noch nicht weit genug ausgebildet ist. In solchen Fällen sollten Eltern ruhig einige Jahre warten und zwischenzeitlich andere musikalische Möglichkeiten mit ihren Kindern erkunden. “Singen und Tanzen sind herrliche Alternativen und lassen sich einfach zuhause durchführen”, sagt Jule Greiner. Überhaupt käme es nicht darauf an, Kinder sofort ein Instrument lernen zu lassen. Vielmehr sollte gefragt werden, wo sich in der Umgebung Musik finden lässt. Kleine Singspiele, das Klopfen mit Steinen oder das Blasen auf Flaschen – im Alltag gibt es viele Möglichkeiten, den Nachwuchs an Musik heranzuführen. “Für Kinder sind diese musikalischen Spielereien spannend und anregend und sie gehen dadurch auch viel bewusster mit den klassischen Instrumenten um”, so Jule Greiner.

In den Räumen des Klingenden Museums ist es inzwischen lauter geworden. Aus dem Trommelraum klingen rhythmische Handglocken, Tamburine und afrikanische Djemben. Am Schlagzeug sitzt der fünfjährige Henri und ruft über das Klappern und Klopfen hinweg laut seinen Namen. Auf Kommando spielen jetzt alle im zweisilbigen Henri-Rhythmus. Sören Schrader gibt den Takt an. Der 41-jährige Musikpädagoge ist beim Open House des Museums für die Perkussionsinstrumente zuständig. “Das Trommeln mit den Besuchern mache ich am liebsten, weil man gleich einfache Rhythmen zusammen spielen kann und die Kinder wirklich ihren Spaß haben.” Auch der fünfjährige Henri ist begeistert. “Das Schlagzeug finde ich am besten, weil es so laut ist”, ruft er. “Aber Mama meint, dafür muss ich noch ein bisschen älter werden.”

Soziale Kompetenzen stärken

Für Sören Schrader ist mit Henris Wunsch ein Ziel seiner Arbeit erreicht. Er freut sich über jedes Kind, das nach seinem Besuch im Museum tatsächlich ein Instrument lernen möchte. “Musik ist gut für Kopf und Seele”, sagt der dreifache Vater. “Außerdem werden die sozialen Kompetenzen gestärkt, wenn man mit anderen zusammen musiziert.” Zuhören können, sich zurücknehmen oder auch Verantwortung zu übernehmen sind Fähigkeiten, die dadurch unterstützt werden.

Schrader sieht das Angebot des Klingenden Museums auch als Ergänzung zum schulischen Unterricht. Der ausgebildete Musiklehrer kritisiert, dass die Ausstattung der Musikräume an den Schulen häufig nicht ausreichend sei. So würden den Schülern im Musikunterricht häufig nur Arbeitsblätter mit den Abbildungen von Geige, Querflöte & Co. gezeigt. Mindestens ebenso wichtig sei allerdings ein lebendiger und qualifizierter Unterricht. Dem pflichtet Professorin Jule Greiner bei. “Die musikalische Qualität muss für Kinder mindestens genauso hoch sein wie für das Publikum in der Philharmonie” lautet Greiners These. Denn den Eindruck, den Kinder im Unterricht und in Konzerten erhielten, präge maßgeblich ihren eigenen musikalischen Ausdruck.

Die fünfjährige Luise hat inzwischen Posaune, Trompete und die Querflöte ausprobiert. Aber ihr Lieblingsinstrument bleibt heute “das lange Schwarze” – die Klarinette. Ihre Mutter kauft am Ausgang noch Karten für das nächste Familienkonzert. Luise will genau aufpassen, ob sie die Klarinette vielleicht heraushören kann.

Termine: Das nächste “Open House” findet am 2. April von 15 bis 18 Uhr statt. Außerdem kann das Klingende Mobil mit großer Instrumenten-Auswahl für Feste oder Geburtstagsfeiern gebucht werden (ab 200 Euro).

Orte:
Berlin, Zingster Straße 15/ Ecke Bellermannstraße in Wedding (Nähe S-/U-Bahnhof Gesundbrunnen).
Hamburg, Dammtorwall 46

Kosten Erwachsene und Kinder zahlen je 2 Euro.

Mehr Infos: Tel. Berlin: 030 39 99 35 22 / Hamburg: 040-35 75 23-43
oder www.klingendes-museum.de

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